Sinn und Unsinn von Reiki-Organisationen.
Vorab: ich bleibe Verbänden grundsätzlich wohlwollend zugeneigt. Vor allem wenn sie von inklusivem Charakter sind und verschiedene Reiki Stile an einen Tisch bringen. Dies beinhaltet für mich eine versöhnliche Qualität, ein Thema dem ich mich gerne widme.
Raison d’être von Verbänden
Verbände, um sie mal über einen Kamm zu scheren, bemühen sich um die Anerkennung von Reiki in der Gesellschaft. Ein Berufsbild möchte gefestigt werden. Dabei steht meist der therapeutische Aspekt im Gesundheitswesen im Vordergrund.
Für viele Mitglieder ist der Verband auch ein Stück weit sozialer Tummelplatz mit Gleichgesinnten.
Laie und Profi
Diese harschen Bezeichnungen benutze ich gelegentlich in Erläuterungen wie hier. Der soziale Aspekt einer Vereinigung ist oft Primärgrund für die Mitgliedschaft des Laien.
Mit Profi ist keineswegs ausschliesslich Erwerbstätigkeit gemeint. Das sind oft – und mehrheitlich – Menschen, die von Reiki überzeugt und begeistert sind. Die Bewahrung von Reiki und das Sicherstellen von hohen Qualitätsansprüchen ist für sie meist vordergründigster Mitgliedsgrund.
Anwender und Lehrer
Bei Reiki Aficionados ist die Selbstbehandlung selbstverständlicher Teil der Praxis. Darüber hinaus behandelt der Anwender auch Drittpersonen – ob gegen Entgelt oder nicht und unabhängig vom Reiki Grad.
Der Lehrer gibt Reiki Seminare und initiiert Menschen, was auch den Zugang zu reiki aktiviert. Lehrer haben oft eine Behandlungspraxis und behandeln und unterrichten gleichermassen. Für uns, beispielsweise, macht die Lehrertätigkeit etwa 90% aus.
Unbedingt bei einem Verband mitmachen!
Es gibt so viele Gründe wie Mitglieder. Jeder und jede hat seine und ihre eigene Agenda. Und das ist gut so.
Für Profis – ob Anwender oder Lehrer – erachte ich es als unabdingbar, dass sie sich früher oder später in einem Verband eingeben. Als Profi folge ich dem Kodex, dass ich es meinen Kunden schulde, mich ständig weiterzubilden. Verbände sind ein idealer Ort dazu. Vor allem, wenn Du mitgestalten willst und Dich nicht der Willkür einer Obrigkeit tatenlos unterwerfen magst – sei sie politisch, Industrie domiert oder sonstwie.
Viele Anwender haben keinen Kontakt mehr zu ihren Lehrern, die grundsätzlich Quelle von Information und Unterstützung sein könnten. Für sie kann eine Mitgliedschaft wesentlich sein. Umgekehrt lernt der Lehrer viel in Verbänden – vor allem über die Begrenzungen seines eigenen Stils und seiner Reiki Herkunft hinaus. Meine eigenen Mitgliedschaften waren zu einem grossen Teil so begründet.
Jemand, der über längere Zeit von Reiki profitiert hat – in welcher Form auch immer – hat meines Erachtens eine Pflicht, diesen Reichtum an Erfahrung mit anderen zu teilen. In einer Organisation bieten sich viele Gelegenheiten dazu.
„Ich halte mich aus Politik raus – ich mache nur mein eigen Ding.“
Das Lieblingsargument meiner Frau. Das hat sie leicht sagen, denn sie hat mich, der für uns obigem Kodex und unserer Arbeitsaufteilung folgend diesen Teil für uns übernommen hat. Zudem hat sie ihren Beitrag als langjährige Präsidentin und mit der Überarbeitung des Ausbildungshandbuches im Verlaufe von 30 Jahren Reiki Berufsleben üppig geleistet. Wer ihre Argumente gerne von ihr direkt hört, sehe sich den RTalk ‚Politik‘ an – mit deutschen Untertitlen.
Trotzdem. Es ist naiv zu denken, dass wir unser eigen Ding durchziehen können ohne dabei gleichzeitig, mindestens indirekt, an der „politischen“ Entwicklung mitverantwortlich zu sein. So zu denken ist besonders paradox, wenn ein Reiki Lehrer seinen Schülern gleichzeitig von spirituellen Erkenntnissen erzählt, die beinhalten, dass alles was uns zu trennen scheint, Illusion ist. Dass wir eins sind – ein Grundgedanke, der mit jedem Namaste zelebriert wird.
Nicht mehr nur naiv wird es, wenn Reiki Lehrer sagen: „Im Unterschied zum XY Reiki machen wir das in unserer Schule so …“. Als Teil des Unterrichtsstoffes mag das noch durchgehen. Aber wenn in der Öffentlichkeit die eigene Schule im direkten Vergleich mit anderen Traditionen profiliert und die andere gar desavouiert wird, dann ist das offensive Politik.
Kontroverse ist nicht grundsätzlich falsch. Im Gegenteil, solche Auseinandersetzungen sind notwendig. So gehört es zum Tagesgeschäft in inklusiven Organisationen, ständig mit den Unterschiedlichkeiten der Traditionen zu ringen. Sie sind somit ideale Austragungsstädte für kontroverse Diskussionen.
Timing
Grundsätzlich sollen Anwender behandeln, behandeln und behandeln. Die Schönheit von Reiki ist die Einfachheit und nirgends kann man mehr lernen als beim Behandeln.
Idealerweise hat der Anwender über seinen Lehrer Zugang zu neuen Regulierungen oder Gesetzten, zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und Qualitätssicherstellungen – also zu all dem was ein Verband oftmals anbietet. Vor allem am Anfang seiner Tätigkeit braucht ein Behandler somit keine Mitgliedschaft in einem Verband. Sobald er oder sie aber eine gewisse Unabhängigkeit oder Professionalität anstrebt, dann ist der Zeitpunkt gekommen, einem Verband beizutreten.
Ähnlich verhält es sich beim Lehrer. Wir empfehlen unseren frisch ausgebildeten Reiki Lehrern, dass sie unterrichten, unterrichten, unterrichten …. und sich nicht von den Mühlen eines Verbandes ablenken lassen sollen. Sobald sie aber regelmässig unterrichten und sich auch ausserhalb unseres Einflusses schlau machen wollen, dann ist der Zeitpunkt da. Später, wenn sie ihre Tätigkeit lang genug ausgeübt haben, dann sind Verbände auch eine Städte, wo man etwas zurückgeben kann.
Herkulesarbeit
Was die freiwilligen Mitarbeiter in Verbänden leisten ist immens. Man kann mögen, was Verbände entscheiden oder nicht. Aber unseren Dank den individuellen Menschen, die nicht selten täglich und über Jahre hinweg ihre Ressourcen investieren, sie verdienen unsere Dankbarkeit und Respekt. Dabei ist die kostbarste aller Ressourcen Zeit. Auch Geld wird nicht selten freiwillig, relativ unbeachtet und oftmals grosszügig von vielen Menschen in Verbände investiert.
Ich bin nun überall ausgetreten
Nein, dieser Titel ist nicht im Widerspruch zu allem zuvor gesagten. Um das zu erklären, schreibe ich diesen Artikel.
Das Reiki Network, ibH, RIO sind schon seit Jahren kein aktiver Teil meines Lebens mehr. Diesen Frühling habe ich mich nun auch von ProReiki und ERG verabschiedet.
Verbandsarbeit war für mich immer ein dynamischer Prozess, bei dem ich oftmals in verschiedene Rollen gleichzeitig schlüpfte. Es liegt in der Natur der Sache, dass es dann einige Baustellen gibt, auf denen es einfacher läuft als auf anderen. Für mich waren … ‚unrund laufende‘ Projekte der Auslöser für meinen Abschied. Es ist müssig, über das ‚Unrunde‘ zu spekulieren, zumal das eh nur Momentanaufnahmen in Verlaufe eines Prozesses sind. Aber noch viel mehr: Auslöser und Grund sind zwei verschiedene Dinge.
Zum Beispiel ERG: eigentlich hätte ich ERG nach der Gründung 2017 verlassen können, denn meine persönliche Vision war erreicht. Die Euphorie ob des Entfaltungspotentials haben mich aber mitgerissen und ich verpasste diesen Moment. Es ist schön, Teil einer fantastischen Truppe zu sein, Pionier für Wichtiges. Darob kann man schon mal – menschlich gesehen – vergessen, was man eigentlich wirklich will. So gesehen, bin ich dem Auslöser dankbar dafür, dass er mich ans Wesentliche erinnert hat.
Ob mein Beitrag in der Vergangenheit in der Verbandsarbeit wertvoll war oder nicht, das mögen andere beurteilen. Das ist auch gar nicht der Punkt, denn ich habe ja in Eigenverantwortung und aus Eigenmotivation mitgemacht.
Dieses Jahr bin ich 67 geworden und der Gedanke erfüllt mich mit Freude … sogar ein wenig Stolz, wenn ich ehrlich bin. Nun habe ich für mich entschieden, dass ich genügend Aktivdienst in Verbänden getan habe. Zum Einen.
Zum Anderen: für meine zukünftige Arbeit ausserhalb meiner aktiven Lehrertätigkeit, die ich fortsetze, kommen mir freigeschaltene Zeitressourcen, Losgelöstheit und Unabhängigkeit entgegen.
Meine Zukunft mit Verbänden
Ich arbeite nachwievor in und mit Verbänden und Organisationen mit. So stehe ich als Soundingboard, Vermittler und Referent zur Verfügung. Meine Präsentationen in UK oder Portugal sind Beispiel und insbesondere meine Präsentation an die französische Federation (s. Videos mit DE Untertiteln).
Bei Reiki Home war ich neulich online Gast. Ende letzten Jahres war ich eingeladener kritischer Geist bei The Reiki Alliance in einem weltweiten Zoom Treffen. Fortwährend unterstütze ich Gelehrte in ihrer Arbeit oder die Wissenschaftsdatenbank. Referenten an Jahrestreffen in Israel oder Russland habe ich beraten, fördere die Kooperation mit Bemühungen in Spitälern in Brasilien usw.
Meine grösste Freude und Hoffnung richtet sich an ERG. Zwar spiele ich dort direkt keine Rolle mehr, empfehle Verbänden, mit denen ich in anderem Zusammenhang in Kontakt komme aber immer wieder dort mitzumachen. Den inklusive Geist mit dem sich ERG vom Wesen her auseinandersetzt, werde ich weiterhin fördern.
Die Aussöhnungsarbeit
Mehr denn je bin ich der Meinung, dass mein grösstes Beitragspotential heutzutage in der Aussöhnung in der Reiki Welt besteht. Aussöhnung innerhalb des westlichen Reikis, des Japanischen Reikis und zwischen dem westlichen und japanischen Reiki. Um das knackig auf den Punkt zu bringen.
Dazu mehr in naher Zukunft. An dieser Stelle nur dies: wer an Projekten zum Ziel der Aussöhnung in der Reiki Welt mitmachen möchte, der möge sich gerne bei mir melden.
Kritik an Verbänden
Es würde den Verbänden nicht gerecht und das Bild wäre verzerrt, wenn nicht auch ein Wort der Kritik Platz fände.
Da ist die übliche Kritik: langatmig, schwerfällig, entscheidungsträge, Brutstätte für Partikularinteresssen … Das finde ich kleindenkerisch, undankbar und langweilig. Vor allem ist es unklug, denn es übersieht das Nützliche derselben Seite: beständig, nachhaltig, demokratisch und Entfaltungspotential für Freiwillige.
Mein Problem mit Verbänden liegt woanders. Wir brauchen neue Ideen, neue Wege. Das ‚wir‘ bezieht sich auf so ziemlichen jeden Bereich des Lebens. Verbände sind eine Manifestation der Vergangenheit und passen sich in der Regel dem Istzustand der Gesellschaft an. Sie sind nicht Denkfabrik, Experimentierwerkstadt und bahnbrechende Pioniere. Auch wenn es in Verbände durchaus Visionäre gibt und auch das eine oder andere Brainstoring, gar hin und wieder einen Thinktank gibt, so konservieren sie doch primär und sind nicht Revoluzzer. Genau das aber, so denke ich, brauchen wir in der Reiki Welt. Wenn wir, Reikianer, das Neue nicht wagen, wer dann?
Dazu kommt für mich noch das inhärente Paradox mit reiki. Es liegt ausserhalb unseres Einflusses, wirkt ‚zum höchsten Gut‘ und ist nicht zu bändigen – und genau das passiert in Verbänden, wenn auch nicht mit reiki aber mit Reiki. Ein Widerspruch, der mich seit vielen Jahren beschäftigt und den ich schon 2016 im Artikel über unsere Nähe und gleichzeitiger Distanz zu Anerkennungsbemühungen angesprochen habe.
Danke liebe Weggefährten…
…in den Verbänden!
Mögen unsere Wege sich wieder kreuzen. Ich freue mich darauf.
Namaste.
René Vögtli
Reiki ist so geschrieben, wenn Lehre und Praxis gemeint ist und reiki ist so geschrieben, wenn es sich gezielt auf das energetische Phänomen „aus dem Ursprung des Lebens“ (Zitat ProReiki) bezieht.